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Verantwortungsbewusstsein

Heute noch genauso aktuell wie damals: In der kleinen Buchreihe „Wille und Weg des Saarlandes Nr. 3“ findet man die großartige Rede von Ministerpräsident Johannes Hoffmann „Wir rufen zur Christlichen Solidarität“, die er auf dem 6. Landesparteitag der CVP 1951 hielt:

„Wenn ich im vergangenen Jahre daran erinnerte, dass unser Parteiprogramm die Rückkehr zur christlichen Ordnung als einzige Rettung fordert, weil die dem Neuaufbau unseres staatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens vorausgegangene Katastrophe ihre Ursache in der Loslösung von Gott und der von ihm gegebenen Ordnung hatte, so ist in dieser Erkenntnis und Zielsetzung der Zwang zur christlichen Solidarität bereits angedeutet. Ein kurzer Rückblick der jüngsten Vergangen-heit mag das noch einmal klarstellen.

Der totale Staat brachte uns mit dem totalen Krieg die totale Unordnung. Das Gesellschaftsgefüge ist aus den Fugen, deshalb ist der Zusammenbruch nicht nur ein Zerfall materieller Werte, die wieder erarbeitet, erspart und aufgebaut werden können, weit mehr ist er ein geistiger Zerfall. […]

 

Die Umwertung der Werte hat sich in dieser allgemeinen Unordnung ausgewirkt. Das Verhältnis der Menschen und Völker untereinander ist alles andere als menschlich. Daher die Ausweglosigkeit, daher die immer wieder scheiternden Versuche in allen Bereichen des menschlichen Zusammen-lebens. Das Umdenken, das Zurückfinden zu echten Ordnungsprinzipien ist das Erfordernis unserer Zeit, soll uns die Heilung der menschlichen Verhältnisse gelingen.

Vergegenwärtigen wir uns diesen geschichtlichen Prozeß, dann können wir nicht umhin einzugestehen, daß vielfach in erschreckendem Maße die persönliche Verantwortung aus dem Bewußtsein der Menschen geschwunden ist. Gerade weil wir in dieser besonderen geschichtlichen Stunde stehen, können wir nicht teilnahmslos geschehen lassen, was um uns herum geschieht. Wir sind haftbar für das, was durch uns geschieht, aber auch für das, was ohne uns geschieht.

 

Das Verhältnis von Mensch zu Mensch wieder zu ordnen, die materiellen Voraussetzungen zum menschenwürdigen Leben zu schaffen, die sittlichen Fundamente zu legen, das ist Aufgabe all derer, die das allgemeine Anliegen sehen und ihm zu entsprechen in der Lage und bereit sind. Das Wohl der Menschen, die sich derzeitig nicht wohl fühlen, ist die Aufgabe, die ins Allgemeine geht, das ist echte Politik, d.h. die menschenwürdige Gestaltung des Gemeinschaftslebens, der wir uns nicht ver-schlossen haben, der wir uns im Gegenteil verpflichtet fühlen, weil unser Gewissen uns dazu gerufen hat.

 

Unsere Zeit hat uns unsere Aufgabe gestellt. Diese Aufgabe werden wir nicht meistern, wenn wir ihre Lösung in der Vergangenheit suchen. Wir werden ihr nur gerecht, wenn wir zwar auf den alten Fundamenten unserer christlichen Lehre, aber im Stil und mit den Maßen unserer Zeit den Neubau beginnen.

 

Im Liberalismus haben wir die Überbewertung des Einzelnen auf Kosten der Gemeinschaft erlebt. Im Kollektivismus, der noch nicht endgültig an uns vorbeigegangen ist — noch leben wir in seiner Bedrohung — erfahren wir die Überbewertung der Gemeinschaft auf Kosten des Einzelmenschen.

Welches ist unser Weg? Nur der christliche Solidarismus, die christliche Solidarität! [...] Wir ergänzen bewußt: im christlichen Solidarismus. Wenn wir das sagen, meinen wir das richtige Verhältnis von Mensch zu Mensch, von Mensch zur Gemeinschaft und von Gemeinschaft zu Gemeinschaft.

 

Das Christentum lehnt den sturen Individualismus ebenso ab wie den sturen Kollektivismus. Nach christlicher Auffassung hat jede Gemeinschaft ihre Grenze an der persönlichen Würde des einzelnen Menschen, wie andererseits der Einzelmensch seine Grenze findet an dem allgemeinen Wohl. Wir sind alle aufeinander angewiesen, es besteht eine dauernde Wechselbeziehung von Mensch zu Mensch und von Gemeinschaft zu Gemeinschaft. Jeder einzelne bleibt verantwortlich für sein Tun und Lassen. Er ist kein Teil einer anonymen Masse.

 

Der Mensch hat seinen Namen, seine individuelle Bestimmung, seine persönliche Freiheit. Er ist kein Etwas, keine Sache und keine Ware. Er behält in der Gemeinschaft seinen Wert und seine Würde. Das erst gibt die gegenseitige Achtung, die notwendige Distanz, die es nicht zuläßt, dem Menschen zu nahe zu treten, weder von einer Partei noch von einem Staat. Und doch ist jeder angewiesen auf den anderen, zu seiner Ergänzung und zu seiner vollen Entfaltung. Dadurch stehen wir in gegenseitiger Verpflichtung einander gegenüber, in wechselseitiger Verantwortung. Wir können den Zusammen-hang nicht lösen, es bleibt ein Zusammenhalt — an uns liegt es, welches Zeichen er trägt: das kollektive, das liberale oder das solidarische.

 

Wir entscheiden uns für die Solidarität, für die Anerkennung der personalen Würde des einzelnen durch jeden einzelnen und durch die Gemeinschaft, aber ebenso für die sittliche Bindung an die Gemeinschaft, an das Miteinander und Füreinander, um den ganzen Reichtum des vielseitigen Lebens für alle zu erschließen, die Menschen guten Willens sind.

Es gibt auch in unseren Tagen und auch bei uns im Saarland hie und da gewisse reservierte „Neutrale" oder die bekannten „Ohne-uns"-Strategen, die diese sittliche Bindung an die Gemein-schaft glauben übersehen oder sich davor drücken zu können. Ihnen sei ein Wort entgegengehalten […]

Die christliche Ethik ist universal auf den ganzen Umkreis menschlichen Handelns bezogen, es gibt keinen ethikfreien Raum des personalen oder sozialen Seins. [...]

Den Staat sich selbst überlassen, heißt, ihn vom abendländischen Erbe forttragen in die Ungewißheit extremer Lösungen, die die soziale Anarchie vollenden, da sie das Wesen der sittlich freien Persön-lichkeit mißachten und die Gesellschaft in einer einzigen Zwangsorganisation ertöten. […]

 

Die neue Ordnung der Welt muss die geschichtlich fällige Form der Ordnung Gottes sein, sonst gibt es einen neuen babylonischen Turmbau und einen neuen Einsturz. […] Man kann die Saar überhaupt nicht „heimholen“. Die Saar ist daheim. Ihr Daheim ist Europa (≠ EU). […] Wir wollen nur die politische Selbstverwaltung – nicht die den Nationalstaaten eigentümliche Souveränität, für die in Europa (≠ EU) kein Platz mehr ist.“

 

In der gleichen Rede zitierte er auch Papst Pius XII aus dessen Namenstags-Ansprache an das Kardinalskollegium am 02.06.1947:

 

„Die Erfahrung sollte allen gezeigt haben, dass die nach den ewigen Wahrheiten und den göttlichen Gesetzen ausgerichtete Politik die realste und wirklichkeitsnächste Politik ist. Die Realpolitiker, die anders denken, schaffen nichts als Ruinen. […]


Gegenüber der traurigen Wirklichkeit der unheilvollen und mannigfaltigen Gegensätze, die so bitter die Welt von heute zerfleischen und ihr den Weg zum Frieden verbauen, wäre es gleichermaßen unverantwortlich, die Augen zu schließen, um nicht zu sehen, oder die Arme zu verschränken, um nicht zu handeln oder den Mund zu verschließen, um nichts sagen zu müssen, mit der Entschuldigung, dass nichts mehr zu machen sei. […]


Denn für die, die die Dinge im Lichte der göttlichen Weltordnung sehen, besteht kein Zweifel, dass es auch für die schwersten menschlichen und staatlichen Interessenkämpfe einen friedlichen Ausgleich gibt…

Wenn heute auch die dunklen Mächte der Zersetzung, der Entzweiung und der Zerstörung über die ganze Welt gehen, um so überwältigender soll sich der Einsatz der Christen, gestärkt durch Einheit, Ordnung und Frieden auswirken.

Wie könnte ein echter Katholik (– das gilt auch für den Christen schlechthin –) glauben, sich einer so dringenden Aufgabe entziehen zu dürfen? Geht also alle mit glühender Begeisterung ans Werk!

Furchtlos unter den Furchtsamen, gläubig unter den Glaubenslosen, hoffend unter den Hoffnungs-losen, liebend unter den Lieblosen …

In der beglückenden Gewissheit, dass Christus in jedem von uns lebt und wirkt, rufen wir allen unseren Söhnen und Töchtern in der Welt zu:

Kämpft einen guten Kampf, stark im Glauben! Die Zukunft gehört den Mutigen, die stark hoffen und handeln, nicht den Kleinmütigen und Unentschlossenen!

Die Zukunft gehört den Liebenden und nicht den Hassenden! ...“

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